7 June—
18 August 2024
La Reconnaissance
städtische Galerie Weingarten, Weingarten/ Bodensee
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LA RECONNAISSANCE
Nichts kann ich fühlen, ohne mich selbst zu fühlen. Nichts kann ich denken, ohne in meinen Gedanken zugegen zu sein. Ich bin die Protagonistin meiner Träume. Was ich sehe, sehe ich aus meinen Augen (nie aus deinen und nie aus denen des Mannes neben mir im Bus). Alles, was ich in der Welt erkennen kann, erkenne ich durch mich. Jedes Gefühlte, Erlebte, Gedachte, Verstan- dene muss durch meinen Körper hindurch. Und es hinterlässt Spuren in, an, auf ihm, diesem Körper, der ganz mit mir gefüllt ist und in den ich die Welt hineinlasse.
Und doch ist Selbsterkenntnis eine Aufgabe, deren Bewältigung den Weisen vorbehalten ist. Dieses Selbst zu fassen zu kriegen, ohne ihm Gewalt anzutun, das ist Eva Schwabs Spezialität. Sie lässt es sich verbergen und ent-bergen, mäandern, für kurze Momente, die sich als Nachbilder auf die Netzhaut prägen, hell aufscheinen, sie lässt es laut und leise sein, lässt zu, dass es seine Form wandelt, sich zurückzieht, um dann wieder hervorzutreten.
Die vielen Alter Egos, die sie schafft, versammeln sich, angeführt von ihrem Urbild, dem Evatar, wie vertraute und vertrautere Gestalten eines Familien- albums. Die Familie ist groß und bunt; ihrem Stammbaum wachsen Jahr für Jahr neue Äste. Eva Schwab erkennt sich in der Welt und die Welt in sich und lässt uns daran teilhaben. Ihre Reconnaissance-Serie erzählt von einem solchen (Wieder-)Erkennungsprozess, der zwar stockt, sodass sein fragmentarischer Charakter sichtbar wird, aber nicht stecken bleibt. Da, wo wir ein Renaissance- Portrait erwarten, blickt uns ein blindes Gesichtserkennungsraster entgegen, ein Automat, eine Maschine, Unkenntlichmachung und damit die Einladung, hinter dem Raster alles zu finden, vielleicht sogar so etwas wie ein Ich.
Den Reconnaissance-Topos transferiert sie auf die Trägerinnen und Träger des durch Verwandtenheirat entstandenen Merkmals der Habsburger Lippe. Sie holt die alles andere als Schmallippigen in die Gegenwart, nimmt sie auf in ihre Vorfahrenreihe und schafft ihnen mit Wachs und Farbe eine neue, diverse, fast schon erlöste Identität, ein So-Sein als An-Erkannte. Trotz Gewändern, Hauben, Perücken werden sie zu Vertrauten, die Zeitgenossen sein könnten.
Schwab transformiert ein Genre, das eigentlich Portrait sein sollte, aber dann etwas Größeres geworden ist. Selbst III – Bildnis eines Seelchens, nicht ganz sichtbar geworden, wagt sich zu zeigen, darf unscharf bleiben und blickt uns doch, wie hinter einem Schleier der Wieder-Erkenntis, wach und sanguin
entgegen.
– Patricia Löwe